Von der Vision zur Notwendigkeit: Wie Urban Mining zum wirtschaftlichen Imperativ wird
Striktere Regularien, steigende CO₂-Preise und Ressourcenknappheit verändern den Immobilienmarkt grundlegend. In dieser Transformation verbirgt sich eine wirtschaftliche Revolution – in den Materialien unserer Gebäude.
„Wir können es uns nicht leisten, nicht umzudenken – weder ökologisch noch ökonomisch", betont Claudius Frank von Madaster.
Leuchtturmprojekte wie das Hutmacherhaus in Berlin zeigen: Urban Mining funktioniert bereits und schafft echten Mehrwert. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Nachhaltigkeit: Erste Pilotprojekte demonstrieren deutliche Bilanzvorteile – kreislauffähig gebaute Gebäude können anders abgeschrieben werden, weil ihr Materialwert erhalten bleibt.
Quelle: Hutmacherhaus in Berlin, Drees&Sommer
Während die Bauindustrie mit Ressourcenknappheit und strengeren Regularien kämpft, entsteht ein völlig neuer Markt: Unsere Gebäude werden zu wertvollen Rohstofflagern. Was lange als idealistisches Konzept abgetan wurde, entwickelt sich zum wirtschaftlichen Imperativ – und wer nicht mitmacht, riskiert erhebliche Wettbewerbsnachteile. Ein Gespräch mit Claudius Frank von Madaster über die Revolution, die bereits begonnen hat.
Die Zahlen sind eindeutig: Steigende CO₂-Preise, explodierende Materialkosten und immer striktere regulatorische Vorgaben verändern die Spielregeln am Markt grundlegend. Gleichzeitig werden Deponien voller, Ressourcen knapper und der Druck auf Unternehmen, nachhaltig zu wirtschaften, wächst exponentiell. In dieser Transformation liegt eine der größten wirtschaftlichen Chancen der kommenden Jahrzehnte – verborgen in den Materialien unserer gebauten Umwelt.
„Wir können es uns nicht leisten, nicht umzudenken – weder ökologisch noch ökonomisch“, betont Claudius Frank, Produktmanager bei Madaster Deutschland. Die digitale Plattform dokumentiert und katalogisiert Materialien, Produkte und Gebäude, um Urban Mining überhaupt erst möglich zu machen. „Wir verwandeln Gebäude in Rohstofflager und schaffen dadurch eine völlig neue Sichtweise auf den Bestand.“
Von der Vision zur Praxis: Urban Mining ist längst Realität
Wer Urban Mining noch als utopisches Konzept abtut, verkennt die wirtschaftlichen Realitäten. „Natürlich schauen viele mit der Brille von heute darauf, ohne nach rechts und links zu blicken“, erklärt Frank. „Aber die Weichen für Urban Mining werden bereits jetzt gestellt – durch digitale Planung, Materialpässe und Datenbanken.“
Die Praxis gibt ihm recht: Leuchtturmprojekte wie das Hutmacherhaus in Berlin der Bayerischen Hausbau oder die Luftschiffhalle in Mülheim zeigen, dass Urban Mining bereits funktioniert. Bei der Luftschiffhalle wurden beispielsweise Bodenplatten aus einem anderen Projekt direkt wiederverwendet, ohne weitere Verarbeitung.
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„Das sind keine Shabby-Gebäude, sondern wirklich hochwertige Projekte.“ |
Der entscheidende Punkt: Urban Mining ist nicht mehr nur ein Umweltthema, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. „Materialien, Daten und CO₂ werden in Zukunft zur Währung“, erklärt Frank. „Wer heute plant und investiert, muss über den Lebenszyklus, CO₂-Fußabdrücke und Wiederverwendung nachdenken – weil Gesetzgeber und Investoren das auf lange Sicht ohnehin fordern werden.“
Der Markt folgt den Fakten: Diese Anreize gibt es bereits heute
Die finanziellen Anreize kommen oft durch die Hintertür, sind aber bereits deutlich spürbar:
- Zertifizierungssysteme: DGNB und andere Systeme belohnen Kreislaufwirtschaft mit höheren Bewertungen, die sich direkt auf Verkaufspreise auswirken
- Förderungen: QNG und andere Programme bieten konkrete finanzielle Unterstützung
- Regulatorischer Druck: CSRD und EU-Taxonomie schaffen klare Vorgaben mit finanziellen Konsequenzen
- Abschreibungsmöglichkeiten: Erste Pilotprojekte zeigen, dass kreislauffähig gebaute Gebäude anders bilanziert werden können
„Es ist nicht nur eine Frage der Ideologie“, betont Frank. „Wir haben an vielen Stellen bereits die Möglichkeit, kreislauffähig gebaute Gebäude anders abzuschreiben. Zum Beispiel nimmt der ‚Kreis Viersen‘ bei kreislauffähig gebauten Gebäuden an, dass 20% nicht abgeschrieben werden müssen – weil am Ende des Tages ein Wert übrigbleibt.“
Dieser Werterhalt ist nur ein Aspekt des wirtschaftlichen Potenzials. Hinzu kommen erhebliche Einsparungen bei CO₂-Kosten, geringere Entsorgungskosten und die strategische Absicherung gegen Materialknappheit.
Die größten Hürden – und wie sie überwunden werden
In Gesprächen mit Planern und Bauherren begegnet Frank regelmäßig drei zentralen Einwänden:
- „Wer soll das bezahlen?“ – Der häufigste Einwand verkennt, dass die langfristigen Einsparungen und Werterhaltung die anfänglichen Mehrkosten deutlich übersteigen.
- „Das ist zu kompliziert“ – Plattformen wie Madaster arbeiten intensiv daran, Komplexität zu reduzieren und Prozesse zu vereinfachen.
- „Das interessiert mich nicht“ – Eine Haltung, die seit EU-Taxonomie und CSRD kaum noch haltbar ist. „Das Thema ist gekommen, um zu bleiben“, so Frank.
Die strukturelle Herausforderung liegt vor allem im Mindset:
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„Wir haben einfach zu viele Personen, die in starren Wegen denken & stur den deutschen Weg gehen. Ich habe die Leitlinien, ich nutze Schema F und hinterfrage es nicht“, |
Die digitale Revolution der Materialwirtschaft
Um Urban Mining in der Breite zu etablieren, setzt Madaster auf digitale Lösungen:
- BIM-Prozesse und Bauteilkataloge werden ausgewertet und gespeichert
- Schnittstellen zu Planungssoftware und CAD-Tools werden entwickelt
- Pilotprojekte demonstrieren die praktische Umsetzung
- Das neue Area Register berechnet statistisch, welche Materialien in Städten und Kommunen verbaut sind
- Zusammenarbeit mit Herstellern und Rückbau-Unternehmen für den Materialkreislauf
Besonders das Area Register stellt einen Durchbruch dar: „Wir haben komplett hochgerechnet, welche Materialien höchstwahrscheinlich in unseren Städten verbaut sind. So hat jeder Auftraggeber bereits einen ersten Schritt, bevor er überhaupt etwas beibringen muss.“
Langfristig sollen diese statistischen Daten durch reale Werte ersetzt werden: „Über Refurbishments, Umbauten und Aufstockungen werden diese Daten nachgepflegt – im besten Fall von den Eigentümern selbst“, erklärt Frank. „Unsere Vision ist, dass die Suche nach verfügbaren Baumaterialien so selbstverständlich wird wie heute das Online-Shopping – man sucht nicht mehr nach neuen Produkten, sondern zuerst nach bereits vorhandenen Materialien im Bestand.“
Was jetzt passieren muss
Für einen Durchbruch des Urban Mining bis 2035 braucht es drei wesentliche Elemente:
- Klare politische Rahmenbedingungen: „Ich wünsche mir von der Politik, dass die Weichen noch stärker für Urban Mining gelegt werden – nicht durch überkomplizierte Regeln, sondern durch klare Anreize für die Kreislaufwirtschaft.“
- Transparente Materialdaten: „Ohne Wissen, was verbaut ist, kann nichts recycelt oder wiederverwendet werden.“
- Standardisierung: „Mein größter Wunsch an die Softwareindustrie sind Standards – dass klar ist, wie was wo reingeschrieben werden muss und sich die Unternehmen daran halten.“
Frank ist überzeugt:
„Wir haben extreme Schätze bei uns rumstehen, die endlich als solche erkannt werden müssen. Urban Mining ist nicht nur eine neue Sicht auf unsere gebaute Umwelt als Ressource statt Wegwerfprodukt – es ist ein unumgänglicher Schritt in die Zukunft.“
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Über Claudius Frank: Claudius Frank leitet das Produktmanagement bei Madaster Deutschland. Sein Fokus liegt darauf, dass die Plattform den Anforderungen der Bau- und Immobilienwirtschaft gerecht wird – sowohl strategisch als auch in der täglichen Nutzung.
Über Madaster: Madaster ist die digitale Plattform für Materialien, Produkte und Gebäude. Die Plattform macht Materialien sichtbar, dokumentiert ihre Qualität und Quantität und ermöglicht, dass sie am Ende der Lebensdauer zu Ressourcen statt zu Abfall werden.