Mindset-Wandel in der Baubranche: Warum die größte Hürde für Urban Mining nicht in der Technik liegt
Standardisierung fehlt, Datenqualität schwankt, regulatorische Anforderungen explodieren – während die technischen Voraussetzungen für Urban Mining längst existieren und die wirtschaftlichen Argumente immer stärker werden, bleibt eine zentrale Herausforderung: das Umdenken in etablierten Planungsroutinen. Claudius Frank von Madaster erklärt, warum ein Wandel in der Denkhaltung den Durchbruch der Ressourcenwirtschaft vorantreiben kann – und was sich konkret ändern muss.
Was sind die drei häufigsten Einwände, denen du im Gespräch mit Planenden und Bauherren begegnest?
Der häufigste Einwand ist eindeutig: „Wer zahlt das?“ Diese Frage zeigt, dass viele Akteure noch im alten System denken. Wenn man ein intaktes System mit einem neuen System vergleicht, das nicht sofort denselben Mehrwert bietet, dann rechnet es sich natürlich zunächst nicht. Es ist, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen und dann sagen: „Die Birnen schmecken aber nicht wie Äpfel.“
Der zweite häufige Einwand lautet: „Das ist zu kompliziert.“ Gerade wenn es um Zertifizierungssysteme geht, empfinden viele die Vielfalt als überwältigend. Sie wissen nicht, welches System sie wählen sollen, und denken, dass es viele neue Tools braucht.
Der dritte Einwand, der zum Glück weniger wird: „Das interessiert mich nicht.“ Ein Unternehmen, das heute noch so denkt, wird sich langfristig extrem schwer tun. Spätestens seit CSRD, EU-Taxonomie und ähnlichen Regularien kann niemand mehr behaupten, das Thema sei irrelevant. Es ist gekommen, um zu bleiben.
Wie entgegnest du dem Kostenargument?
Wir versuchen nicht zu entgegnen, sondern zu erklären und mitzunehmen. Es ist ein komplexes Thema, das man nicht kleinreden darf. Aber man sollte langfristig denken: Es ist am Anfang ein Implementierungsaufwand, aber ähnlich wie beim Umstieg vom Verbrenner zum E-Auto muss man eben eine neue Plattform bauen.
Dieser anfängliche Aufwand zahlt sich langfristig aus – durch vermiedene CO₂-Kosten, Ressourceneffizienz und neue Geschäftsmöglichkeiten. Man kann auch schrittweise vorgehen und muss nicht alles auf einmal umstellen. Wichtig ist, dass man anfängt.
Welche regulatorischen, technischen oder praktischen Hürden siehst du aktuell?
Regulatorisch fehlt es weniger an klaren Vorgaben – der Green Deal hat bereits viele definiert. Das Problem ist eher, dass Deutschland oft zum „Over-Engineering“ neigt und viele zusätzliche Spezifikationen entwickelt. Die Vielfalt an Zertifizierungssystemen wie DGNB, QNG und anderen führt manchmal zu Unklarheiten.
Technisch sehen wir tatsächlich Fortschritte. Als wir vor etwa fünf Jahren gestartet sind, war die BIM-Diskussion noch viel intensiver. Heute werden durch regulatorische Vorgaben wie die EPBD auch die Hersteller zunehmend in die Pflicht genommen, Informationen bereitzustellen.
Die größte praktische Hürde ist definitiv das Mindset. Zu viele Personen denken in starren Bahnen und folgen blind Schema F, ohne es zu hinterfragen. Das macht zirkuläres Denken schwierig, weil die bestehenden Prozesse einfach nicht auf Wiederverwendung oder Weiterverwertung von Materialien ausgelegt sind.
Was müsste sich ändern, damit Urban Mining in zehn Jahren selbstverständlich ist?
Von der Politik wünsche ich mir klarere Weichen für Urban Mining – keine überkomplizierten Regeln, sondern klare Rahmenbedingungen und Anreize für die Kreislaufwirtschaft.
Von der Baubranche braucht es mehr Mut und Motivation, Dinge zu ändern. Nicht stur auf dem bisherigen Weg zu beharren, sondern offen zu sein für Innovationen und neue Wege.
Und grundsätzlich benötigen wir ein Umdenken: Gebäude müssen als Rohstoffdepots verstanden werden, nicht nur als Nutzräume. Wir haben extreme Schätze in unserer gebauten Umwelt, die endlich als solche erkannt werden müssen.
Ein entscheidender Aspekt ist auch die Standardisierung in der Softwareindustrie. Mein größter Wunsch wäre, dass klar definiert ist, wie was wo dokumentiert werden muss, und dass sich alle Unternehmen daran halten. So könnten Systeme problemlos miteinander kommunizieren, ohne dass immer wieder neue Schnittstellen programmiert werden müssen.
Über Claudius Frank: Claudius Frank leitet das Produkt-
management bei Madaster Deutschland. Sein Fokus liegt
darauf, dass die Plattform den Anforderungen der Bau-
und Immobilienwirtschaft gerecht wird – sowohl strategisch
als auch in der täglichen Nutzung.
Über Madaster: Madaster ist die digitale Plattform für
Materialien, Produkte und Gebäude. Die Plattform macht
Materialien sichtbar, dokumentiert ihre Qualität und Quantität
und ermöglicht, dass sie am Ende der Lebensdauer zu Ressourcen
statt zu Abfall werden.
Tool Tip! Mit cockpit.planner plant man projektbegleitend die Kreislauffähigkeit eines Gebäudes gleich mit!