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Re-Use wird systematisch. BaWü beendet Wegwerfarchitektur.

Geschrieben von Matthias Uhl | 10.09.2025 15:37:22

Leitfaden für tragende Bauteile: Das Ende der Wegwerfarchitektur

Ein Stahlträger, einst das Rückgrat eines Stuttgarter Bürogebäudes der 1970er Jahre, stemmt heute die Lasten eines Freiburger Wohnprojekts. Was früher dem Schrotthändler gehörte, bekommt nun eine zweite Karriere – nicht zufällig, sondern nach Plan. Baden-Württemberg schreibt mit seinem neuen „Leitfaden zur Wiederverwendung tragender Bauteile“ Baugeschichte: Erstmals wird aus dem chaotischen Einzelfall eine klar geregelte Strategie.

Revolution mit Ansage

Jährlich fallen in Deutschland 220,6 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle an – ein Material-Tsunami, der bisher meist auf Deponien landet. Der 44-seitige Leitfaden von KIT und TU München verändert die Spielregeln: Statt jahrelanger Genehmigungs-Odyssee gibt es nun ein standardisiertes Verfahren – von der Bestandsanalyse über den schonenden Rückbau bis zur Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung (vBg).

„Derzeit braucht es für jede Wiederverwendung eine Zustimmung im Einzelfall“, sagt Ministerin Nicole Razavi. „Das wollen wir vereinfachen.“ Noch wichtiger: Die Landesregierung denkt nicht mehr nur in Recycling-Optionen, sondern in proaktiven Materialstrategien.

Vom Abrissschutt zum Rohstoffdepot

Der Paradigmenwechsel beginnt im Entwurfsprozess: Gebäude werden nicht mehr als künftige Abfälle gesehen, sondern als temporäre Materiallager. Der Leitfaden definiert erstmals materialspezifische Prüfprotokolle für Stahl und Holz, regelt Bemessung und Aufbereitung für die zweite Nutzung. 2026 soll Stahlbeton folgen – ein weiterer Meilenstein.

Was das für Planende bedeutet

Für Architekt:innen und Ingenieur:innen heißt das: Re-Use wird planbar. Bauteile lassen sich frühzeitig auf Wiederverwendbarkeit prüfen und in Ausschreibungen integrieren. Das schafft neue Spielräume – gestalterisch, ökologisch und wirtschaftlich.

Digitale Werkzeuge als Katalysator

Der Leitfaden liefert den rechtlichen und technischen Rahmen, digitale Tools können ihn in den Planungsalltag übersetzen. Heute ist es möglich, schon in der ersten Skizze Materialdaten zu bewerten – etwa zu Materialgesundheit, Demontierbarkeit, Trennbarkeit, Recyclingfähigkeit, Schadstoffgehalt, CO₂-Emissionen oder Materialherkunft. So werden aus Visionen wie „Design for Re-Use“ konkrete, umsetzbare Entscheidungen im CAD-Workflow – bspw. mit integriertem cockpit.planner, das diese Parameter modellbasiert auswertet, dokumentiert und als Materialpass ausgibt.

Die Zukunft baut anders

Baden-Württemberg hat mit diesem Leitfaden den Grundstein für eine Baupraxis gelegt, die Materialien nicht verbraucht, sondern zirkulieren lässt. Für Planungsbüros eröffnet das neue Perspektiven – und die Chance, Vorreiter einer Bauwende zu sein, die ökologisch wie ökonomisch überzeugt.


Download: Leitfaden zur Wiederverwendung tragender Bauteile – Stahl- und Holzbau